Kurmasana, kurmāsana – Die Schildkröte
Mit der Yoga Online Ausstellung möchte ich zur Erforschung der Frage anregen, wie die Schönheit des menschlichen Körpers entsteht. Mit welchen Kriterien manifestiert sie sich in der Darstellung von Yoga-āsana?
Damit du den Ausdruck jeder einzelnen Stellung mit einigen Gedanken auf dich wirken lassen kannst, findest du hier in der Rubrik Asana-Zitate jedes Foto einzeln aufgeführt, zusammen mit einem kurzen Text. Die Texte widmen sich verschiedenen Aspekten zum tieferen Sinn des Yoga-Übens. Wer sich für das Erlernen dieser schönen Positionen interessiert, sollte sich an einen kompetenten Yogalehrer wenden, um Fehler in der Praxis zu vermeiden!
kurmāsana
Schildkröte mit „sanft gestreckter Wirbelsäule im Zentrum“
Heinz Grill über die Schildkröten-Position:
Die Schildkröte, kurmāsana, symbolisiert durch ihre Fähigkeit die äußeren Glieder nach innen zu ziehen, die geistliche Stufe von pratyāhāra, die das fünfte Glied des Patañjali-Yogaweges bezeichnet. Pratyāhāra heißt wörtlich übersetzt: Rückzug der Sinne. Wie die Schildkröte ihre Füße und den Kopf in den eigenen Schutzraum einzieht, so lenkt der Übende das Licht der Aufmerksamkeit auf die innere Welt des Erlebens, hinweg von der äußeren Geschäftigkeit der Gedanken. In der inneren Welt des Erlebens findet er jene umschriebene Ruhe und jenen unsagbaren Frieden des Geistes, der ihn zur Meditation und Freiheit führt. Wie das fließende Wasser der Natur entsprechend von einem höheren zu einem niederen Niveau fließt, so strömt das Licht der Sinne aus den feinen Gesichtsorganen zu der Welt und deren Objekte. Dies ist die natürliche Richtung, die die Aufmerksamkeit in den Sinnen nimmt. Und diese Aufmerksamkeit nimmt immerfort ihre autonome Richtung, wie das Wasser aus den Quellen flussabwärts fließt und in das Meer einmündet. …
Was ist aber nun der Ursprungsort des Lichtes, das den Sinnen im Geheimen innewohnt und unsere Aufmerksamkeit so autonom an die weltlichen Objekte fesselt? Es ist dies ganz unser eigenes Selbst, unsere Seele, unser individuell gewordenes Sein, das im Lichte der Aufmerksamkeit strömt, gleich wie das Wasser im Flusse. Und es strömt die Aufmerksamkeit am Tage in der Aktivität der Lichtsinnesprozesse. Während der Nacht aber, in der schweigenden Stille, ruht dieses Licht im eigenen Ursprung, in der Quelle des Selbst.¹
Begriffsklärung und Textquelle:
kurma = die Schildkröte
āsana = das Sitzen
prati = entgegen
ahāra = das Holen, Bringen
Patañjali = Autor des Yoga-Sutra, des bekanntesten Yoga-Grundlagentextes, der in gebündelter Versform (ein sūtra ist ein Versmaß) die Methode des Yoga in einem Acht-Stufen-Pfad zusammenfasst. Diese Stufen lauten: yama (Gesetze), niyama (Lebensregeln), āsana (Körperhaltungen), prāṇāyāma (Atemübung), pratyāhāra (Rückzug der Sinne), dhāraṇa (Konzentration), dhyāna (Meditation), samādhi (Erleuchtung).
(1) Heinz Grill, Die Vergeistigung des Leibes, Lammers-Koll-Verlag 2004, S.121/122
Bildquellen (19-06-02): Schildkröte-Bild von Konevi auf pixabay, kurmāsana-Heinz Grill, Das Hohelied der Asanas, Niefern-Öschelbronn 2001, S.23